Friedrich Merz vor dem gordischen Knoten der deutschen und europäischen Politik

Alfons Scholten

„Du hast keine Chance, also nutze sie!“1

Der „gordische Knoten“ steht hier für eine deutsche und europäische politische Gemengelage voller Widersprüche, die zudem vielfach miteinander verknüpft sind. Dazu gehört z.B., dass Friedrich Merz sich im Wahlkampf als Entscheider und Macher, als CEO der Deutschland-AG, inszeniert hat, der Probleme anpackt und schnell löst, obwohl klar war, dass er mit einer Partei koalieren muss, die viele seiner Ideen ablehnt. Die Gegensätze zwischen CDU und SPD lassen sich grob so beschreiben : Die Liberal-Konservativen der Merz-CDU geben Freiheit den Vorrang vor Gleichheit, für sie geht privat vor Staat, Leistung vor Verteilung, Subsidiarität vor Solidarität und Verantwortungs- vor Gesinnungsethik. Sozialdemokraten sehen dies genau umgekehrt. Durch die Mitarbeit der bayerischen CSU unter ihrem Parteichef Markus Söder vertiefen sich diese Gräben noch mehr, insbesondere weil er permanent eine staatskeptische Haltung propagiert und gleichzeitig fordert, dass eine gute Regierung alle Probleme lösen müsse.

Für Friedrich Merz gilt hingegen vor allem, dass er als engagierter Verfechter der Schuldenbremse und der deutschen Wirtschaft jetzt eine Wirtschaftspolitik machen muss, die mehr auf Binnen-nachfrage in Deutschland und Europa setzt und die noch viel zu großen Barrieren des EU-Binnenmarkts, die oft von deutschen Unternehmen mit Zähnen und Klauen verteidigt werden, einreisst. Also nichts weniger als eine fundamentale Neujustierung des bisherigen deutschen Geschäftsmodells.

Bislang (im Wahlkampf und in den öffentlichen Diskussionen danach) noch völlig unbeachtet ist die Tatsache, dass es – „unter der Bettdecke“ gewissermaßen – noch weitere erhebliche Probleme gibt, die in den nächsten Jahren zunehmend wichtig werden : einen gigantischen Berg an verdeckten Verbindlichkeiten für Renten, Pensionen und die Gesundheitsversorgung der alternden Gesellschaft zum Beispiel. Diese Verpflichtungen werden von Fachleuten auf über 400 Prozent des BIP geschätzt. Daneben dürfte der Wunsch nach einer Wiederbelebung der Wehrpflicht mit dem Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften kollidieren ; die naheliegende Lösung – mehr Zuwanderung – dürfte wiederum mit dem derzeit gepflegten Migrationsdiskurs nicht zu verbinden sein.
In der Außenpolitik muss der überzeugte Transatlantiker Merz sich mit einem EU- und Deutschenfeind im Weißen Haus auseinandersetzen und die Idee des freien Westens gegen Trump und Putin gleichzeitig verteidigen. Derzeit sind seine Versuche einer Kurskorrektur und eines Übernehmens der Traditionen von Adenauer und Kohl so stark, das manche Zeitungen ihn schon als „Gaullisten aus dem Sauerland“ beschreiben. Und das in einer vermuteten Koalition mit einer SPD, sie sich zu Zeiten von Scholz und Biden fest an die USA und deren Strategien gebunden hat.

In der EU hat Merz neben seinen intensiven Kontakten zu Macron auch so beste Voraussetzungen seine Ideen voran zu bringen : Die Kommissionspräsidentin, 13 der 27 EU-Kommissare, die Mehrheiten in den Ministerräten gehören ebenso zu seiner Parteienfamilie der EVP wie die stärkste Fraktion im EU-Parlament. Und diese erwarten von ihm, dass er seine „disruptive“ Politik fortsetzt und das „german vote“, mit dem viele Entscheidungen in der EU blockiert wurden, beendet und die bisherigen Tabus in der Verteidigungs- und Fiskalpolitik hinter sich lässt. Und das sind noch lange nicht alle Zwänge und Widersprüche, die sich da als „gordischer Knoten“ vor Friedrich Merz auftürmen !

Und anders als Alexander der Große kann er diesen Knoten nicht mit einem Hieb durchschlagen ; denn in der deutschen Kompromiss-Demokratie muss er, der Olaf Scholz mal als „Klempner der Macht“ verhöhnt hat, jetzt zeigen, dass er nicht nur das große Ganze im Blick hat, sondern auch die kommunikativen Röhren und Stellschrauben kennt und bedienen kann, die in diesen wilden Zeiten für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens so wichtig sind. Denn es braucht in Deutschland und Europa jetzt eine fähige, starke, durch und durch demokratisch denkende Führungskraft, die für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und Europa eine klare und einheitliche Zukunftsvision hat. Die die richtigen kreativen und effizienten Problemlöser um sich versammelt und zusammen das System von Grund auf erneuert und fit für die Zukunft macht. Angesichts der drohenden „Alternative für Deutschland“ und Europa durch die Trump-Putin- Doktrin, die für die EU dieselbe Zukunft wie für die Ukraine plant : Zerstörung des Bestehenden und Installierung von möglichst vielen moskauhörigen Marionettenregierungen in Budapest, Rom, Berlin, Paris, Wien, Bratislava, .. bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, dass Friedrich Merz zu dem Friedrich dem Großen wird als den er sich schon seit langem sieht.
Zudem müssen auch wir an der demokratischen Basis europäisch zusammen stehen, denn von dem beschriebenen Schreckensszenario sind wir sind alle bedroht. Demgegenüber kann demokratische Hoffnung nur konsequent aufklärerisch sein und mit gedanklicher und gesellschaftlicher Aktivität verbunden,sein. Und das heisst eben auch : mit Arbeit und mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Der Bereitschaft, selber zu denken, aber nie nur an sich allein. So wird es uns gelingen, Ideen und Konzepte für ein anderes Europa zu entwickeln, zu diskutieren und in die politische Debatte einzuspeisen.

1 Ein Spontispruch der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts, mit dem in Zeiten extrem hoher Jugendarbeits-losigkeit die penetrant optimistische Individualisierung eines zentralen gesellschaftlichen Problems ins Lächerliche gezogen wurde

Da die politischen Ereignisse sich derzeit überschlagen und von jetzt auf gleich wegweisende Entscheidungen verkündet werden, dokumentiere ich lieber den Zeitpunkt, an dem ich dies schreibe : Freitag, 14. März 2025, ca. 14.00h

Publié par Alfons Scholten

Coach scolaire et conseiller pour le « Service Erasmus des écoles de l'Église évangélique en Rhénanie » chez Experiment e.V. Enseignant en Allemagne : histoire, politique, religion, apprentissage interculturel (2006 - 2024) Membre du Conseil d'Administration du CECI Expert Erasmus+ pour le Comité européen des régions (2018-2019) Président de l'EBB-AEDE Allemagne (2012-2018)

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